Geltendmachung und Durchsetzung des Pflichtteils
Das Pflichtteilsrecht umfasst nur verhältnismäßig wenige Paragrafen im BGB. Die Vielzahl der Probleme, die sich bei der Ermittlung, der Bezifferung und der Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs auftun, ist gleichwohl groß. Zögern Sie daher nicht, rechtzeitig fachliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wenn Ihnen möglicherweise Pflichtteilsansprüche zustehen.
Was bedeutet „Pflichtteil“ oder „Pflichtteilsanspruch“?
Die Bedeutung des Pflichtteils besteht darin, ein Spannungsverhältnis zumindest etwas aufzulösen:
Auf der einen Seite steht das unbeschränkbare Recht der Erblasserin / des Erblassers, ihren / seinen letzten Willen frei zu verfügen - sogenannte Testierfreiheit. Auf der anderen Seite ist das gesetzliche Erbrecht - geregelt im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) - von dem Gedanken der Familienbindung des Vermögens - einem alten germanischen Rechtsgrundsatz - geprägt. Sowohl Eigentum als auch Erbrecht gehören zu den verfassungsrechtlich geschützten Rechten - haben also jeweils große Bedeutung.
Das Pflichtteilsrecht versucht, zwischen diesen beiden Positionen zu vermitteln:
Zwar kann die Erblasserin / der Erblasser grundsätzlich über seinen Nachlass frei verfügen. Für einen gesetzlich genau festgelegten Kreis engster Angehöriger jedoch ist eine gewisse Mindestbeteiligung am Vermögen der Erblasserin / des Erblassers vorgesehen - und zwar vollkommen unabhängig davon, ob Angehörige dieses engsten Kreises bedürftig sind oder nicht. Diese Mindestbeteiligung gewährleistet der Pflichtteilsanspruch. Seine Bedeutung besteht in der Vermittlung zwischen den sich gegenüberstehenden Ansprüchen.
Wer hat Pflichtteilsansprüche - und wann bestehen diese?
Die grundsätzliche Regelung, wer Inhaber von Pflichtteilsansprüchen ist, findet sich in § 2303 BGB:
Nach dessen Absatz 1 können Abkömmlinge, die durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind, den Pflichtteil verlangen.
Gemäß § 2303 Abs. 2 BGB bestehen auch zugunsten der Eltern und der Ehegatten der Erblasserin / des Erblassers Pflichtteilsansprüche, wenn diese durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind. Eltern sind allerdings von Pflichtteilsansprüchen ausgeschlossen, wenn noch Kinder der Erblasserin / des Erblassers vorhanden sind, § 2309 BGB.
Der erforderliche Ausschluss von der Erbfolge liegt vor, wenn aus der letztwilligen Verfügung - im Wesentlichen also dem Testament - im Wege der Auslegung ersichtlich ist, dass die Erblasserin/ der Erblasser die betreffende Person enterben will.
Sind die Formulierungen in der letztwilligen Verfügung nicht eindeutig, müssen diese ausgelegt werden. Das bedeutet, dass der wahre Erblasserwille erforscht werden muss. Dabei ist zum Teil auf diverse gesetzliche Auslegungsregeln aber auch auf Umstände außerhalb des Testaments zurückzugreifen.
Lässt sich der wahre Erblasserwille danach nicht ermitteln, muss sich die Auslegung auf den sogenannten mutmaßlichen Erblasserwillen erstrecken.
Schon hier dürfte sich regelmäßig erhebliches Streitpotential bei der Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen bestehen, dem Sie sich ohne versierte fachliche Unterstützung nicht aussetzen sollten.
Welche Ansprüche hat der oder die Pflichtteilsberechtigte?
Steht nach dem eindeutigen niedergelegten oder durch Auslegung ermittelten Erblasserwillen der Kreis der Pflichtteilsberechtigten fest, dann stehen diesen Ansprüche auf Zahlung zu. Zur Vorbereitung und Bezifferung gibt das Gesetz den Pflichtteilsberechtigten Ansprüche auf Auskunft.
Ein Beispiel:
Ein Ehepaar mit zwei gemeinsamen Kindern hat ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Ein Ehevertrag ist nicht vorhanden - die Ehegatten leben im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. In dem Testament haben die Eheleute für den ersten Todesfall jeweils den überlebenden Ehegatten als Alleinerben eingesetzt; die Kinder werden als Erben zu gleichen Teilen nach dem Tod des zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt. Durch diese Verfügung sind die beiden Kinder für den ersten Todesfall von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen. Denn nach gesetzlicher Erbfolge würde der überlebende Ehegatte zu ein halb (§§ 1931 und 1371 BGB) und die Kinder zu je ein viertel (§ 1924 BGB) erben.
Die Kinder sind deshalb deshalb nach dem ersten Todesfall der Eltern pflichtteilsberechtigt - im Beispielsfall steht ihnen jeweils ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 1/8 des Nachlasses des zuerst verstorbenen Ehegatten zu.
Die/der Pflichtteilsberechtigte muss sich allerdings auch Zuwendungen, die sie/er zu Lebzeiten vom Erblasser erhalten hat, anrechnen lassen, wenn sie innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall erfolgten.
Gegen wen richten sich die Pflichtteilsansprüche?
Die Antwort des § 2303 Abs. 1 ist insoweit eindeutig:
Anspruchsgegner der Pflichtteilsansprüche sind die Erben.
Im vorstehenden Beispielsfall müssten die Kinder ihre jeweiligen Ansprüche also beim überlebenden Elternteil geltend machen.
Wie setze ich meinen Pflichtteilsanspruch durch?
Weil der Gesetzgeber mit dem Pflichtteil den engsten Familienangehörigen zumindest eine Mindestteilhabe am Familienvermögen belassen will, sind die Hürden für eine Pflichtteilsentziehung sehr hoch:
Gemäß § 2333 BGB und den folgenden Regelungen ist die Pflichtteilsentziehung nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen möglich, nämlich zum Beispiel
- wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser oder dessen Angehörigen nach dem Leben trachtete,
- er sich eines schweren vorsätzlichen Verbrechens gegen den Erblasser oder dessen nahe Angehörige schuldig gemacht hat,
Auch Überlegungen, einem unliebsamem Pflichtteilsberechtigten durch lebzeitige Verfügungen den gesetzlich garantierten Pflichtteilsanspruch zu entziehen oder zumindest weitestgehend unerreichbar zu machen, finden zahlreiche Schranken - seien dies steuerrechtlich Hemmnisse, seien dies die Regelungen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei Schenkungen (§ 2325 BGB).
Zusammenfassung
Das Pflichtteilsrecht umfasst verhältnismäßig wenige Paragrafen im BGB. Die Vielzahl der Probleme, die sich bei der Ermittlung, der Bezifferung und der Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs auftun, ist gleichwohl groß.
Zögern Sie daher nicht, rechtzeitig fachliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wenn Ihnen möglicherweise Pflichtteilsansprüche zustehen.